Mittwoch, 27. Oktober 2010

Volkszählung, Fuerza Cristina und Gas (oder auch nicht)

Komischer Tag.

Alle Argentinier mussten Zuhause bleiben, da heute eine Volkszählung stattgefunden hat. Um 11 Uhr kommt also jemand und zählt mich und interviewt uns über Sachen wie ob wir fließendes Wasser haben, aus welchem Material der Fußboden ist, ob wir lesen können und sowas.
Es war also völlig ruhig heute auf den Straßen, kein Kiosk, Cafe, Supermarkt oder sonstwas war geöffnet. Gestern Abend stand ich eine Stunde lang in der Schlange im Supermarkt (die durch den ganzen Laden ging - und der Laden ist groß!), weil die Leute in Panik eingekauft haben, als gäbe es kein Morgen mehr.

Zu allem Überfluss ist heute Morgen um 10 Uhr auch noch Néstor Kirchner gestorben, seines Zeichens

- Argentinischer Präsident von 2003 bis 2007
- Ehegatte der aktuellen Präsidentin Cristina Fernandez de Kirchner
- Präsident des UNASUR (Union Südamerikanischer Nationen)
- Präsident der regierenden Partei
- Anwärter auf den nächsten Präsidentenposten Argentiniens.

Kurz gesagt der mächtigste Mann Argentiniens und wahrscheinlich Südamerikas.

Das Land steht Kopf, es wurden drei Trauertage ausgerufen, Politiker aller Parteien und lateinamerikanischer Länder haben Beileidsbekundungen über Twitter geschrieben (was hier überaus beliebt ist als Form des Meinungsaustausches unter Politikern).

Bei uns läuft den ganzen Tag der Fernseher mit Live-Berichterstattungen.

Vorhin war ich auf der Plaza de Mayo, wo das Regierungsgebäude steht und es ist unglaublich (ich könnte mir in den Hintern beißen - Kamera hatte ich dabei, Speicherkarte steckte im Laptop).
Die Schlange mit Menschen, die Blumen abgeben wollten war hunderte von Metern lang, alle möglichen politischen Verbände waren präsent, Flaggen-, Getränke-, Süßigkeiten- und Blumenverkäufer machten das Geschäft ihres Lebens.
Weinende Menschen, die von Fernsehsendern interviewt wurden, Familien die mit ihrem Mate in der Sonne standen, Leute mit Néstors und Cristinas Gesichtern auf T-Shirts.
Graffiti an den Häusern mit "Gracias Néstor, Fuerza Cristina". Flaggen mit Eva "Evita" Perons Konterfei.
Zwischendurch politische Parolen, von zig Leuten gerufen.
So geballten Patriotismus habe ich live noch nie erlebt.

Artikel in Página12

Video, Fotos und Artikel in Clarín

Video, Fotos und Artikel in La Nación

Natürlich gibt es auch viele (sehr viele!) Gegner des Präsidentenehepaars und die Kommentare auf Facebook und die meiner Mitbewohnerin werden zunehmend zynischer, wenn auch betroffen.

Es wird spannend in Argentinien.


Was auch über die Maßen spannend ist:
Die Frage ob wir ab Montag wieder Gas haben (nach vier Wochen wärs mal wieder ganz nett).
Warmes Duschwasser haben wir aus der -Zitat Coni- "Kommunistendusche", einem Wasserbehälter von 20 Litern, der unter dem Duschkopf angebracht ist und eine halbe Stunde lang elektrisch erwärmt wird, damit man 7 Minuten lang hoffen kann, am Schluss von den Tropfen nass geworden zu sein.
Kochen habe ich fast aufgegeben, mit der elektrischen Herdplatte dauert es ca. eine Stunde, bis das Nudelwasser kocht.
(Hintergrund: eine ältere Dame bildete sich ein, Gas zu riechen, rief die Gasgesellschaft an, die das Gas umgehend abstellte und sich weigert, es wieder anzustellen - es sei denn, wir bezahlen eine dicke Summe unter der Hand. Wär alles gar nicht so schlimm, aber besagte Dame macht das jetzt schon das dritte Mal in einem Jahr und läuft unterdessen hysterisch im Haus rum und informiert uns, dass wir alle sterben werden)

Jetzt sind hier Bauarbeiten im Haus, die darauf hoffen lassen, dass Montag alles geregelt ist und ich wollte dann doch nicht mit Eindrücken geizen.

Bitte sehr, unser Flur:

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